Der Meister im Stillen

Ein Leben für die Kunst – nicht den Applaus. Michael Unruh verkörpert eine Form des Taekwondo, die heute selten geworden ist: traditionsbewusst, technikorientiert, tief in der Philosophie verankert. Seine Aufnahme in die Hall of Fame ist keine Auszeichnung für große Wettkampftitel, sondern für eine lebenslange, stille Meisterschaft, die Generationen geprägt hat.
Biografische Wurzeln eines Pioniers
Sein Weg begann 1970 mit Boxen und Karate. Im Oktober 1972 fand er schließlich zum Taekwondo – zunächst bei Hans-Ferdinand Hunkel, später ab 1973 bei Meister Shin Boo-Young. Schon früh zog es ihn auf die Wettkampffläche: Zwischen 1974 und 1976 war er aktiver Kämpfer in Deutschland und Europa, Teil der legendären Kampfmannschaft mit Manfred Zakrzewicz und Matthias Prinz.
1976 legte er die Prüfung zum 1. Dan ab. Gemeinsam mit Hans-Ferdinand Hunkel, Klaus Petzold und Manfred Zakrzewicz half er, die Strukturen der TUH und später der Deutschen Taekwondo Union aufzubauen. Über drei Jahre stand er als Präsident der TUH vor, viele Jahre prägte er das Prüfungswesen als Referent und Bundeskampfrichter.
Herausragende Leistungen
Michael Unruh vereinte die Wettkampfwelt mit tiefem Technikverständnis. Im Formenlauf gewann er mehrere Deutsche Meistertitel. 1984 veröffentlichte er das Standardwerk 12 Taekwondo Hyongs – eine Arbeit, die bis heute als Referenz gilt.
1990 legte er in der DTU die Prüfung zum 5. Dan ab und erhielt die silberne Ehrennadel. Als die Hyongs 1995 aus dem offiziellen Prüfungs- und Wettkampfprogramm der DTU gestrichen wurden, entschied er sich für einen klaren Weg: den Austritt aus der DTU und die volle Hinwendung zum traditionellen Taekwondo.
Die Verbindung zu Großmeister Kwon Jae-Hwa blieb stets lebendig. Rund 35-mal reiste Michael in die USA, um dort wochenlang bei ihm zu trainieren. Zwei gemeinsame Reisen führten ihn 2003 und 2011 mit Großmeister Kwon Jae-Hwa nach Korea. 2012 schließlich legte er bei ihm nach einer einwöchigen Prüfung den 7. Dan ab – eine Ehre, die nur vier Schülern überhaupt zuteilwurde.
Prägende Rolle im norddeutschen Taekwondo
Vor über 30 Jahren gründete Michael Unruh das Taekwondo Black Belt Center Hamburg, das heute als Leuchtturm für traditionelles Taekwondo in Norddeutschland gilt. Darüber hinaus baute er 15 Schulen in der Region auf, die alle das klassische Hyong-System pflegen.
Er organisierte regelmäßig Trainingslager in Europa und den USA mit 50–100 Teilnehmern, war Mitinitiator von Taekwon-Do Nord und sorgte für Prüfungsstandards, Qualität und Austausch in der Szene. Über 250 Schüler führte er vom Weißgurt bis zum Schwarzgurt – viele von ihnen sind heute Schulleiter und Meister mit Graduierungen bis zum 5. Dan.
Engagement mit Herzblut
Über Jahrzehnte hinweg war Michael als Prüfer, Referent und Organisator im Einsatz. Er unterstützte Vereine beim Aufbau von Formenturnieren, war Teil des Organisationskomitees der 50-Jahre-Taekwondo-Gala in Hamburg und prägte durch sein Wirken weit mehr als nur seine eigene Schule. Seine Schüler beschreiben ihn als Mentor, der mit Geduld, Prinzipientreue und Respekt führte – und dem viele über Jahrzehnte hinweg verbunden blieben.
Eine stille Größe
Mit über 70 Jahren trainiert Michael Unruh noch immer fast täglich und leitet deutschlandweit Lehrgänge. Er steht für ein Verständnis von Taekwondo, das Tiefe über Lautstärke, Inhalt über Oberfläche stellt. Seine Arbeit geschah oft im Hintergrund, aber sie hat eine Region geprägt und ein System erhalten, das ohne ihn möglicherweise verblasst wäre. Eine Aufnahme in die Hall of Fame ist die verdiente Anerkennung eines Lebenswerks – nicht laut, aber bleibend.

